Poker um Ukraine-Friedenstreffen: Bisher nur ein Gewinner
Berlin/Ankara. Der türkische Präsident Erdogan inszeniert sich nicht zum ersten Mal als Vermittler im Ukraine-Krieg. Das ist sein Geheimnis.Nervenkrieg um die Ukraine-Friedensgespräche in der Türkei. Noch vor den ersten Treffen kritisierte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj die russische Verhandlungsdelegation als „Schein“-Delegation, das Moskauer Außenministerium nannte ihn daraufhin einen unerzogenen „Clown“ und „Versager“. .Doch einen Gewinner gibt es auch schon: Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan genießt die Rolle als Gastgeber und Vermittler zwischen Russland und der Ukraine. Nicht zum ersten Mal kann sich Erdogan auf internationaler Bühne als einflussreicher Staatsmann inszenieren. Ist er diesmal erfolgreich? Was ist sein Geheimnis?
Hauptstadt Inside von Jörg Quoos, Chefredakteur der FUNKE ZentralredaktionHinter den Kulissen der Politik – meinungsstark, exklusiv, relevant.Mit meiner Anmeldung zum Newsletter stimme ich der
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zu.Am Donnerstag empfing Erdogan zunächst Selenskyj in Ankara zum offiziellen Gespräch. Wladimir Putin hätte der Staatschef auch gern begrüßt, der russische Präsident hat aber – nicht überraschend – zunächst abgesagt, am Morgen landete nur eine eher drittrangige Moskauer Delegation in Istanbul. Doch hält Erdogan telefonisch Kontakt zum Kremlherrscher. US-Präsident Donald Trump hielt sich offen, ob er doch noch in die Türkei reist. So sieht Erdogan in den erwarteten Gesprächen in seinem Land schon jetzt die Chance zu einem „historischen Wendepunkt“. Die Türkei sei das einzige Land, das im Ukraine-Konflikt das Vertrauen aller beteiligten Länder genieße, sagt der 71-Jährige. Ob mit oder ohne Präsidenten: Dass die Delegationen der Ukraine und Russlands auf türkischem Boden wieder verhandeln wollten, ist schon ein Erfolg. Auch andere Staaten ringen um die Rolle als Vermittler im Ukraine-Krieg – Saudi-Arabien, Brasilien, Katar – doch Erdogan hat sich gleich mehrfach empfohlen: Er hat 2022 in Antalya zusammen mit den Vereinten Nationen den Getreidedeal eingefädelt, mit dem die Ukraine den zeitweise gestoppten Getreideexport über das Schwarze Meer wieder aufnehmen konnte. Erdogan hat sich seit Kriegsbeginn mehrfach sowohl mit Putin als auch mit Selenskyj getroffen.#4 Cem Özdemir über die Bedrohung durch Erdogans AnhängerMeine schwerste EntscheidungErdogan: Schon einmal fanden Ukraine-Friedensverhandlungen in der Türkei stattÜber Ankara lief voriges Jahr ein großer Gefangenenaustausch vorwiegend zwischen den USA und Russland, an dem auch Deutschland beteiligt war. Und vor allem: In Istanbul fanden von Mitte März bis Ende April 2022 die ersten und bislang einzigen Friedensverhandlungen zwischen Unterhändlern der Ukraine und Russlands statt. Diese Verhandlungen im Dolmabahce-Palast in Istanbul, der auch jetzt wieder Schauplatz werden könnte, waren relativ weit gediehen, ein Entwurf für ein Abkommen lag schon vor. Die großen Streitpunkte hätten später Putin und Selenskyj aushandeln sollen, dazu kam es aber nicht mehr. Vielleicht jetzt?Erdogans Trumpf: Er betreibt selbstbewusst und erfolgreich Schaukelpolitik zwischen Ost und West. Die Türkei ist offiziell EU-Beitrittskandidat und seit Jahrzehnten Nato-Mitglied, doch voriges Jahr stellte sie auch einen Antrag auf Beitritt zu der von Russland und China dominierten Brics-Staatengemeinschaft, die ein Gegenwicht zum Westen bilden will. Erdogan hat den russischen Überfall auf die Ukraine zwar missbilligt, als Präsident eines Nato-Staates blieb ihm kaum eine andere Wahl. Die Türkei liefert der Ukraine Waffen, vor allem technologisch anspruchsvolle Drohnen, die in der ersten Kriegsphase entscheidend halfen, den russischen Angriff auf Kiew abzuwehren.Doch Erdogans Kontakt zu Putin blieb solide. An den westlichen Sanktionen gegen Russland beteiligte sich die Türkei nicht, stattdessen half sie Putin noch, sich über Umwege die heimliche Lieferung wichtiger Technologiegüter zu organisieren. Die Türkei bildet eine Zollunion mit der Europäischen Union, zugleich sie ist von russischem Gas und Getreide abhängig, auch die Touristen aus Russland sind eine wichtige Einnahmequelle. Russische Flugzeuge dürfen auch deshalb weiter in der Türkei landen.Auch interessantDer Westen weiß Erdogans Vermittlerrolle zu schätzenDass die ersten von Trump vermittelten Sondierungen für einen Waffenstillstand im Februar in Saudi-Arabien stattfanden, hat Erdogan zwar geschmerzt. Aber er hielt sich weiter bereit. Nebenher machte er sich zu einem unverzichtbaren Machtfaktor nach dem Regimewechsel in Syrien: Westliche Staaten nutzen seinen engen Draht zum neuen syrischen Präsidenten Ahmed al-Scharaa, bei dessen Treffen mit Trump am Mittwoch in Saudi-Arabien war Erdogan per Video zugeschaltet.Auch interessantDer Westen weiß Erdogans Rolle zu schätzen: Nicht ohne Grund hielt sich die Europäische Union zurück, als Erdogan seinen potenziellen Rivalen, den Istanbuler Bürgermeister Ekrem Imamoglu, verhaften ließ. Und auch die Nato-Staaten sahen in dem Eklat keinen Grund, jetzt ein informelles Außenministertreffen der Allianz in Antalya abzusagen.Nun erweist sich das als willkommener Zufall. US-Außenminister Marco Rubio wollte nach der Nato-Konferenz gleich nach Istanbul weiterfliegen. Vielleicht kommt sogar Trump doch noch zu den Friedensgesprächen: „Falls etwas passiert, würde ich am Freitag hingehen, wenn es angemessen ist“, sagte er. Allerdings sah es zunächst nicht so aus, als würden sich die Dinge in Trumps Sinn entwickeln. Aus Moskau wurden die Vorbereitungen mit scharfen Schimpftiraden begleitet. Der russische Außenminister Sergej Lawrow, der selbst nicht nach Istanbul gereist ist, beschimpfte Selenskyj bei einem Auftritt in Moskau als „jämmerlichen Kerl“, weil dieser die Anwesenheit von Putin bei den Verhandlungen gefordert hatte. Die Unterstützung der Europäer für Selenskyj bezeichnete Lawrow als Kriegstreiberei.